Die Auswanderung von 1940

 

 

 

 

Vorspiel eines neuen Staates

Infolge der Ereignisse des 06. Februar 1934 und nach der Demission der Regierung Daladier wendet sich der Präsident der Republik, Albert Lebrun an Gaston Doumergue, einen ehemaligen Präsidenten, um ein neues Kabinett zu bilden. Dieser beruft Marschall Pétain in das Kriegsministerium. Pétain, der das Ministerium für Bildung und Schulwesen bevorzugt hätte, akzeptiert seine die Berufung dennoch. Dies sind seine ersten Schritte auf dem Feld der Politik.

Die Regierung Doumerge stürzt im November 1934 und gleichzeitig favorisiert die öffentliche Meinung Marschall Pétain immer mehr.
Gustave Hervé, Herausgeber der Zeitung „Der Sieg“ fasst den Wunsch der Öffentlichkeit in einem berühmt gewordenen Artikel zusammen : „Es ist Pétain, den wir wollen !“

Im April 1935 schreibt Léon Daudet in der „l’Action Française“ : „In der jetzigen Zeit müsste der wirkliche und mit aller Macht ausgestattete Ratspräsident Marschall Pétain sein.“ Am 1. Juni 1935 tritt Pétain einen Posten als Staatsminister im Ministerium von Ferdinand Buisson an. Er fordert Sondervollmachten, um die bestehende Staatskrise zu lösen. Doch schon am gleichen Tag wird das Ministerium aufgelöst.

Im Jahre 1936 erringt die Volksfront den Sieg. Pétain zieht sich aus dem politischen Leben zurück, genießt aber auf nationalem und internationalem Parkett als Repräsentant Frankreichs hohes Ansehen.

Am 14. Mai 1940 durchbricht das deutsche Heer mit einem ungewöhnlichen Angriff die französische Front bei Sedan und öffnet damit den Weg nach Paris.

Am 17. Mai ermahnt der Ratspräsident Paul Reynaud den zwischenzeitlich als Botschafter nach Spanien zu Franco entsandten Marschall Pétain, sofort den Posten des Vizepräsidenten zu besetzen. Franco hingegen gibt ihm den Rat: „Gehen Sie nicht weg, Herr Marschall. Sie sind der Sieger von Verdun, verbinden Sie Ihren Namen nicht mit einer Niederlage, die andere erlitten haben.“ „Ich sehe das Problem“, antwortet er,“ aber mein Vaterland ruft mich und ich muss mich ihm fügen. Vielleicht ist es der letzte Dienst, den ich ihm erweisen kann.“
Ein neues Kapitel wird eröffnet.

General Weygand wird als Ersatz für General Gamelin zum Oberbefehlshaber der Armeen ernannt, aber es ist bereits zu spät.
Es beginnt das Drama von Dünkirchen. Die Engländer gehen an Bord ihrer Schiffe und kehren nach England zurück. Die französische Armee wird in Teilabschnitte zerstückelt. Sie hat keine einheitliche Führung mehr und trotz einzelner heldenhafter Kämpfe gibt es keine Hoffnung, die Ehre Frankreichs wieder herzustellen. Paris kapituliert, die Regierung flieht nach Bordeaux, gefolgt von Hunderttausenden französischen und belgischen Flüchtlingen.


Es ist die Flucht eines ganzen Kontingents von Heimatvertriebenen die in grenzenloser Panik kurz vor dem Zusammenbruch stehen.

Am 12. Juni erkennt General Weygand, dass es nicht möglich ist, die Armeen neu zu gruppieren, und den Vormarsch aufzuhalten. Er rät deshalb zu einem frühestmöglichen Waffenstillstand, um größere Zerstörungen zu vermeiden.
Am 14. Juni 1940 wird Paris besetzt. England, selbst von einer Invasion bedroht, lehnt es ab, Truppenverstärkungen zu entsenden. Der amerikanische Präsident versichert zwar „seine extreme Sympathie“ aber letztlich bleibt Frankreich allein in seinem Unglück. Jeder Tag der vergeht bringt den Feind näher an die Ufer des Mittelmeeres. Die deutsche Flut droht das ganze Land zu überschwemmen und bis nach Afrika vorzudringen.

Marschall Pétain lehnt es ab, den vaterländischen Boden zu verlassen: „Es ist unmöglich Frankreich zu verlassen, ohne es zu verwüsten. Die Regierung ist, was immer sie tut, verpflichtet im Land zu bleiben, auch auf die Gefahr hin, nicht anerkannt zu werden. In einer Zeit allgemeiner Destabilisierung Frankreich seine natürlichen Verteidiger zu entziehen, heißt sich dem Feind auszuliefern, heißt die Seele Frankreichs zu töten. Ich werde in der Mitte des französischen Volkes bleiben und sein Elend und Leid mit ihm teilen.“

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Ministerrat am Hotel des Parks im November 1940

Von links nach rechts : General Huntziger, Herr Alibert, der Marschalll, Herr Baudouin, Admiral Darlan, die Herren Caziot, Peyrouton, Laval, Bouthillier und Belin

 

Die Regierung von Marschalls Pétain

Am 16. Juni gibt Paul Reynaud seine Demission bekannt und schlägt vor, die Regierungsgeschäfte an „eine hohe Persönlichkeit zu übertragen, die die Achtung der ganzen Nation genießt.“ Er ernennt Marschall Pétain. Jeanneney und Herriot, Präsidenten des Senats und der Abgeordnetenkammer , bestätigen die Wahl. Léon Blum ernennt zwei Sozialisten (Fluß und Februar), die die Geschäftsbereiche „Kolonien“ und „Arbeit“ in dieser Regierung übernehmen, deren erklärten Absichten sie kennen. Nach der Ablösung Reynauds bildet Pétain seine Regierung. Sie erhält die fast einhellige Zustimmung des Parlaments und der Nation. Ihre Legalität und Legitimation wird von niemandem bestritten. Das Ausland, vom Vatikan bis zur UDSSR, entsendet seine Botschafter.

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Marschall Pétain, der den Waffenstillstand am 17. Juni 1940 anküngigt

 

 

Der Waffenstillstand

Am 17. Juni kündigt Philippe Pétain in seiner ersten Rundfunkansprache den Franzosen mit, dass er um einen Waffenstillstandsvertrag gebeten hat.
Dieser wird am 22. Juni 1940 bei Rethondes unterzeichnet und vom Ministerrat unter dem Vorsitz von Albert Lebrun, dem Präsidenten der Republik, ratifiziert.


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Die volle Macht

Am 29. Juni verlässt die Regierung Pétain Bordeaux und lässt sich in Vichy nieder. Am 10. Juli 1940 beschließt die Vollversammlung (569 ja, 80 nein, 17 Enthaltungen) ein Gesetz, in dem Marschall Pétain zum Staatschef erklärt wird und stattet ihn mit allen Machtbefugnissen aus.

Sie beauftragt ihn, eine neue französische Verfassung zu entwerfen, in der insbesondere die Rechte der Familie, des Vaterlandes und das Recht auf Arbeit garantiert werden. Sein Verfassungsentwurf bewegt sich innerhalb des Rahmens, der von den Versammlungen der 3. Republik vorgegeben wurde. Er wird jedoch nie veröffentlicht, weil Pétain der Meinung ist, dass eine neue Verfassung nur von Paris aus einem befreiten Frankreich verkündet werden kann.
Er gründet deshalb eine Übergangsregierung für die Zeit der Besetzung.

Seinem Mandat aus der Vollversammlung entsprechend, beginnt Pétain mit der Verfassungsreform und definiert die Organisation des Staates in seinem natürlichen Rahmen:
- Familie
- Beruf
- Gemeindewesen
- Organisation des sozialen Lebens unter Abschaffung bestehender Privilegien
und Verbesserung der proletarischen Lebensverhältnisse.

Ein solches Programm ist jedoch nur durchsetzbar, wenn es von einer kräftigen Korrektur des bisherigen nationalen Geistes und einer Rückbesinnung auf die geistigen Werte einer Gesellschaft getragen wird.
Marschall Pétain nennt als Grundlagen seiner Regentschaft:
- Genossenschaftliche Landarbeit
- Regelung des Arbeitslebens
- Aufstellung einer Légion (Fremdenlegion)
- Jugendarbeit
Dieser hierarchische und zugleich soziale Entwurf basiert auf die Förderung des Talents und der Verdienste.

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Das berühmte Plakat der nationalen Revolution

Die nationale Revolution

Seit Beginn seiner Regierung arbeitet Pétain an einem Reformprogramm mit dem Namen „Nationale Revolution“ deren Ziel darin besteht, die französische Gesellschaft zu restrukturieren und gleichzeitig die Grundlagen für einen Staat zu legen, der national und sozial sein soll.

Basierend auf den Grundlagen Arbeit, Familie, Vaterland und im Gegensatz zur bestehenden Ordnung „la Francisque“, ist das Ziel des Reformwerks der „Nationalen Front“ die Rückkehr zu einer traditionellen, patriarchalischen und hierarchisch geführten Gesellschaft, geleitet von folgenden moralischen Grundsätzen:
- Anerkennung traditioneller Werte und des Christentums
- Vaterlandsliebe
- Bedeutung der Familie für die Gesellschaft
- Arbeit für Jedermann
Die ehemaligen Soldaten und die Jugend sollen nach Vorstellung Pètains das Herz dieser neuen reformierten Gesellschaft bilden. Deshalb wird am 29. August 1940 die „Légion française des combattants“ (Fremdenlegion) und am 30. Juli 1940 die „Chantiers de la jeunesse“ (Jugendarbeit) gegründet.

Das Arbeitsleben wird, sich von den bisherigen Maximen „Sozialismus“ und „Kapitalismus“ lösend und basierend auf einem neuen Arbeitsgesetz vom 04. Oktober 1941, neu organisiert. Parallel dazu werden für den Produktionsbereich Organisationskomitees gegründet (ab August 1940).
Die Regierung ist bemüht, einerseits traditionelle Werte zu erhalten und andererseits eine Modernisierung der Gesellschaft herbeizuführen, um das Werk Pètains zu vollenden.

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Die Zusammenarbeit

Angesichts der deutschen Übermacht agiert Pétain vorrangig unter dem Aspekt, die wesentlichen Dinge zu erhalten :
- die Unabhängigkeit des französischen Staates
- die Verteidigung des Reiches
- den Schutz der Flotte
- die Rückkehr der Kriegsgefangenen und
- die Verringerung der erdrückenden
Besatzungskosten.
Unter diesem Gesichtspunkt akzeptiert Pétain am 16. Juli die Einladung Hitlers zu einer Begegnung am 24. Oktober 1940 in Montoire.
Der protokollarisch übliche Händedruck zwischen den beiden Staatsoberhäuptern wird nach Kriegsende von Pétains Gununterbrochen egnern als Symbol der Zusammenarbeit des Regimes mit den Nazis gedeutet.

Diese Unterredung 4 Monate nach der Niederlage der französischen Armee, war die erste Möglichkeit, den Status der Nation im internationalen Kontext der Zeit zu erkennen:
Die Engländer hatten gemeinsam mit den Gaullisten am 23. und 24. September Dakar angegriffen und waren zurückgedrängt worden, während sich der Marschall bemühte, bis zu einem Waffenstillstandsabkommen jede Aggression gegen das französische Imperium abzuwehren.
Hitler fühlte sich durch die defensiven Haltung Frankreichs beruhigt und beabsichtigte Einheiten von der Westfront abziehen um sie in Richtung Osten einsetzen zu können. Auf Intervention des Marschalls lehnte es Franco außerdem ab, gemeinsam mit Hitler Gibraltar anzugreifen und die Meerenge zu überqueren, um sich der afrikanischen Kolonien Frankreichs zu bemächtigen. Das französische Kolonialreich wird dadurch gerettet.

„Montoire“, so wird später der deutsche Minister von Renthe- Fink sagen, „war die größte Niederlage der deutschen Politik gegenüber Frankreich. Wir haben dort praktisch nichts erhalten …. Wenn Montoire nicht gewesen wäre, hätte es wahrscheinlich keine Landung der Alliierten in Nordafrika gegeben.“

Doktor Paul Schmidt, der Dolmetscher Hitlers, fasst das Ergebnis der Unterredung in seinen Memoiren mit den bedeutungsvollen Worten wie folgt zusammen : „Ich bin geneigt, denjenigen als Sieger von Verdun anzusehen, der das diplomatische Duell von Montoire gewonnen hat.“

In seiner Rede an die Nation am 30. Oktober stellt Pétain fest, dass „dieses Zusammentreffen (in Montoire) Hoffnungen ausgelöst und gleichzeitig Sorgen verursacht hat…… Eine Zusammenarbeit zwischen unseren zwei Ländern ist in Betracht gezogen worden…. Ich habe das grundsätzlich akzeptiert. Die Modalitäten werden später diskutiert.“ Mit der Formulierung „ist in Betracht gezogen worden…“ versucht sich Pétain indirekt wieder von dieser Vereinbarung zu distanzieren. Es ist nur eine Möglichkeit, die von ihm jedoch nicht geleugnet wird. Aber er wartet zunächst die weitere Entwicklung ab. Im Geiste des Marschalls war die Zusammenarbeit ein Teil der notwendigen Gefälligkeiten und Konzessionen im Sinne von „Geben und Nehmen“ um zu einem Abschluss des Waffenstillstandsvertrages zu kommen. Kleine Konzessionen im Austausch gegen kleine Vorteile.
Bei der Unterredung in Montoire hoffte Hitler, der bei seinem Plan Gibraltar einzunehmen, von Franco in Stich gelassen wurde, von Pétain Unterstützung für seinen Einmarsch nach Nordafrika zu erhalten. Aber dieser sorgte dafür, dass die Diskussion im Sande verlief.
Gleichzeitig unterhielt Pétain weiterhin Kontakte zu den Engländern (Unterhändler Rougier und Chevalier), den Vereinigten Staaten (Botschafter Admiral Leahy), sowie Spanien (Franco).

Gegenüber deutschen, englischen oder amerikanischen Forderungen, beharrte die französische Regierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten ohne Zugeständnisse auf die ihr zustehenden Rechte. Davon zeugt u.a. die Verhaftung und die Vollstreckung des Todesurteils für 42 Spione als Abrechnung der Achsenmächte, der siegreiche Gegenschlag der französischen Marine auf die englische Flotte bei Dakar und die Standhaftigkeit des Admirals Robert gegenüber den Amerikanern, die sich des französischen Goldes auf Martinique bemächtigen wollten.

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Der französische Staat und die Juden

Einige Tage nach der Invasion Frankreichs vom 20. Mai 1940 beginnen die Deutschen in Unternehmen, die von ihren Eigentümern verlassen wurden, vorläufige Verwalter einzusetzen. Diese Maßnahme trifft zuerst jüdische Unternehmen und Besitztümer, deren Eigentümer geflohen sind. Mit Beschluss vom 27. September 1940 werden die französischen Verwaltungsbehörden angewiesen, alle Personen zu registrieren, die jüdischen Glaubens sind. Um zu verhindern, dass sich das Reich in die Gesetzgebung einmischt, für die es Alleinverantwortlicher ist, reagiert die französische Regierung mit dem Erlass des Gesetzes vom 16. August 1940. Dieses dient als Grundlage zur Bildung von „Organisationskomitees für Industrie und Handel“, die zwischen Staat, Besatzern und Eigentümern vermitteln sollen. Am 10. September 1940 nimmt sich der französische Staat das Recht, die provisorischen Unternehmensverwalter selbst zu ernennen.
Nach wiederholten Protesten gegen die Einmischung der Deutschen in der Juden- und Rassenfrage unterzeichnet Pétain am 03. Oktober 1940 auf Betreiben der Besatzungsmacht das erste wichtige Gesetz, mit dem die „Judenfrage“ und die „Rassenhygiene“ in Frankreich geregelt wird. Einige Tage nach dem deutschen Erlass vom 27. September 1940.
Dieses Gesetz mit seinen diskriminierenden Verwaltungsmaßnahmen „zielte gar nicht auf das Vernichten der Juden ab“ behauptet Réne Rémond in seinem Vorwort zum Werk von Asher Cohen „Verfolgungen und Rettungen“.
Es errichtet einen „numerus clausus“, der den Juden den Zugang zu bestimmten Berufen verbietet oder einschränkt. Das französischen Volk stand diesen Maßnahmen uninteressiert und gleichgültig gegenüber, zumal es auch in der französischen Gesellschaft generelle Vorbehalte gegen den jüdischen Einfluss gab.
Im Sommer 1942 informierten die Deutschen die französische Regierung von dem Beschluss, alle Juden zu deportieren, und zwar ohne Unterschied ob es sich um französische, ausländische oder staatenlose Juden handele.
Gegen diese Absicht protestiert die französische Regierung. Als Kompromiss schlagen die Deutschen vor, die französischen Juden zu verschonen, wenn die französische Polizei sie ansonsten bei der Durchführung der beabsichtigten Maßnahme unterstützt. Dieser Erpressung stimmt die französische Regierung unter Pétain zu, weil sie vorrangig das Leben der französischen Juden zu retten hofft.

Die folgenden Zahlen sprechen für das Ergebnis :

Im Jahre 1940 lebten im französischen Einflussbereich (Frankreich und Nordafrika) insgesamt 730.000 Juden.
Davon wurden 76.000 Juden deportiert, von denen 3% überlebten.
Es sind also 90% aller Juden im französischen Einflussbereich der „Endlösung“ entgangen und (nur) 10% wurden ihr Opfer.

Nach Schätzungen des Historikers Raul Hilberg beträgt der Prozentsatz aller Überlebenden aus den jüdischen Gemeinden von Deutschland, Österreich, Belgien, Griechenland, Luxemburg, Polen, Jugoslawien und den Niederlanden insgesamt 6%.

Nicht zuletzt gilt es festzustellen, dass sich Marschall Pétain in den nicht besetzten Zonen und Nordafrika immer erfolgreich der Anordnung zum Tragen des gelben Judensterns widersetzt hat.

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